Dr. Cordula Tollmien Sofja Kowalewskaja
Cordula Tollmien

Fürstin der Wissenschaft

Die Lebensgeschichte der Sofja Kowalewskaja

Vorwort

Dieses Buch hat eine lange Geschichte: Als ich zehn oder elf Jahre alt war, schenkte mir meine Großmutter Sofja Kowalewskajas "Kindheitserinnerungen" - mit einem bedeutungsvollen "Lies das mal", das mir sagte, daß sie dieses Buch liebte und die Frau, die es geschrieben hatte, bewunderte.

Von Anna Charlotte Lefflers Erinnerungen an ihre Freundin Sofja Kowalewskaja besitze ich zwei Ausgaben - beide von meiner Großmutter. In einer liegt ein Zettel in ihrer Handschrift: "Damit der Streit um die Sofja endlich aufhört." Der Anlaß dafür war, daß sich meine Eltern nicht darüber einigen konnten, wer von ihnen Anna Charlottes Erinnerungen als erster lesen dürfe. Deshalb schickt ihnen meine Großmutter ein zweites (wie das erste antiquarisch erworbenes) Exemplar.

Heute kennen Sofja Kowalewskaja in aller Regel nur noch die Mathematiker(innen) und einige an der Geschichte der Frauenbildung interessierte Historikerinnen. Meine Großmutter, die in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts jung gewesen war, wußte noch ganz selbtverständlich, daß Sofja Kowalewskaja eine bedeutende Mathematikerin und eine bekannte Schriftstellerin gewesen war und daß sie vor allem sehr viel für die Frauen getan hatte. Obwohl selbst weder Mathematikerin noch Historikerin, sondern "nur" Ehefrau und Mutter, war Sofja Kowalewskaja für sie ein Vorbild, auf das sie sich beziehen konnte. Und das hat sie mir vermittelt. Nachdem ich selbst erst Mathematik und Physik studiert hatt, mich dann aber für das Schreiben entschieden hatte, war es daher kein weiter Weg mehr für mich bis zu Sofja Kowalewskajas Biographie.

Ich begann mit der Arbeit daran vor zwei Jahren. Doch dann wurde meine Mutter schwer krank. Sie versprach mir, noch lange genug zu leben, um mein Buch lesen zu können. Ich versprach ihr, mich ein bißchen mit dem Schreiben zu beeilen. Wir haben es beide nicht geschafft. Sie nicht, lange genug zu leben; ich nicht, das Buch schnell genug zu schreiben.

Ich widme dieses Buch deshalb meiner Mutter. Als sie etwa zwanzig Jahre alt war, machte sie die Aufnahmeprüfung für eine Schauspielschule und bestand sie. Auf die Frage des Schauspiellehrers, was sie nun vorhab, antwortete sie: "Mathematik studieren." Und das tat sie dann auch.

Ein Leben zu erzählen, heißt immer auch, es zu interpretieren, ihm einen Sinn zu geben und ein Ziel. Ereignisse und Begebenheiten aus der Kindheit erfahren ihre Bedeutung erst durch das, was später aus dem Kind wurde: Die Tatsache, daß Sofja als Kind stundenlang fasziniert mathematische Formeln und Zeichen betrachtete, ist nur interessant, weil sie später eine bedeutende Mathematikerin wurde; ihre Kindheit in der abgeschlossenen Welt der russischen Landgüter nur, weil sie diese später verließ und darüber geschrieben hat; der Onkel, der ihr von seinen sozialen Utopien erzählte, nur, weil sie später eine politisch denkende Frau wurde. Ich habe die Lebensbeschreibung der Sofja Kowalewskaja daher nicht mit ihrer Kindheit begonne, sondern mit den Höhepunkten ihres Lebens, mit ihrem größten mathematischen Erfolg und ihrem größten literischen Erfolg. Für alle, die bisher noch nichts von ihr gehört haben, ist dieses Kapitel zugleich die Vorstellung ihrer Person: "Madame, Wir haben die Ehre..."

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