Dr. Cordula Tollmien Sofja Kowalewskaja

Cordula Tollmien

Sofja Wassiljewna Kowalewskaja,
geb. Korwin-Krukowskaja

geboren 15. Januar 1850 in Moskau
gestorben 10. Februar 1891 in Stockholm

Mathematikerin und Schriftstellerin

Josif Ignatjewitsch Malewitsch

Josif Ignatjewitsch Malewitsch, Sofjas polnischer Hauslehrer

 

 

 

Sofja Korvin-Krukowskaja, später Kowalewskaja, 15 Jahre alt

Sofja, 15 Jahre alt

Am 15. Januar 1850 wird Sofja Wassiljewna Korwin-Krukowskaja als zweite Tochter des zaristischen Offiziers Wassili Wassilowitsch Korwin Krukowski und seiner zwanzig Jahre jüngeren Frau Elisaweta Fedorowna, geborene Schubert, in Moskau geboren. Ihre Schwester Anna (Anjuta) ist acht Jahre älter als sie. 1855 wird ihr Bruder Fedor geboren.

1858 siedelt die Familie auf das väterliche Landgut Palibino im Gouvernment Witebsk (500 km von Petersburg entfernt) über. Das Zimmer von Sofja wird mit den lithographierten Nachschriften der Vorlesungen über Differential- und Integralrechnung des russischen Mathematikers Michail Ostrogradski tapeziert.

In Palibino hört Sofja von ihrem Onkel, dem älteren Bruder ihres Vaters, zum ersten Mal etwas über die Quadratur des Kreises, über die Asymptote, auf die eine Kurve zuläuft, um sie dennoch erst im Unendlichen zu berühren. Sie erhält außerdem elementaren Mathematikunterricht bei dem polnischen Hauslehrer Josif Ignatjewitsch Malewitsch.

Im Sommer 1964 [Datierung nicht ganz sicher] kommt Cousin Michail nach Palibino, um mit Hilfe von Sofja bei ihrem Hauslehrer Malewitsch Mathematik zu lernen: Wenn selbst ein Mädchen Mathematik begreifen kann, würde er, Michail, es als Junge wohl auch können - so die pädagogische Grundidee dieser Maßnahme.

Fjodr Michailowitsch Dostojewski

Fjodr Michailowitsch Dostojewski (1821-1881)

Anjuta Wassiljewna Korwin-Krukoskaja, Sofjas Schwester, 1860er Jahre

Sofjas Schwester Anjuta, wahrscheinlich 1860er Jahre

Turgenjew Väter und Söhne

Eine russisches Ausgabe des 1862 erschienenen Romans "Väter und Söhne" von Iwan Turgenjew (1818-1883).

Anfang des Jahres 1865 lernt Sofja in Petersburg Dostojewski kennen, der eine intensive Beziehung vor allem zu Sofjas Schwester Anjuta (1843-1887) unterhält, in deren Verlauf er Anjuta sogar einen Heiratsantrag macht. Anjuta lehnt den Antrag ab.

Im Sommer 1865 [Datierung nicht ganz sicher] entdeckt Nikolai Nikanorowitsch Tyrtow (1822-1888), Physikprofessor an der Petersburger Marineakademie, Sofjas mathematische Begabung: Sofja war in seinem gerade erschienenen "Lehrbuch der elementaren Physik", das Tyrtow mit nach Palibino gebracht hatte, im Kapitel Optik auf den ihr unbekannten Begriff des Sinus gestoßen und hatte eigenständig eine Methode der Erklärung dafür entwickelt.

Vom Herbst 1866 bis zum Sommer 1867 reist Sofja mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Anjuta durch Deutschland und die Schweiz.

Anfang des Jahres 1868 erhält Sofja in Petersburg Mathematikunterricht bei Tyrtows Schüler Alexander Nikolajewitsch Strannoljubski (1839-1903), der sie bis zum Frühjahr unterrichtet. Sie kommt über ihn in Kontakt mit Petersburger nihilistischen Kreisen, denen sich schon in Palibino auch ihre Schwester Anjuta angeschlossen hatte. Die nach dem Roman von Iwan Turgenjew "Väter und Söhne" sog. Nihilisten waren Vertreter einer intellektuellen Jugendbewegung der 1860er Jahre in Russland, die sich gegen die konservativen Moralvorstellungen der Vätergeneration und die herrschenden verkrusteten politischen Strukturen wandte und sich insbesondere der Aufklärung und Ausbildung der Landbevölkerung und dem Kampf für die Emanzipation und wissenschaftliche Ausbildung der Frauen verschrieben hatte.

Sofja Korvin-Krukowskaja, später Kowalewskaja, 1868

Sofja in St. Petersburg 1868

Wladimir Onufrijewitsch Kowalewski 1869

Wladimir Kowalewski in Heidelberg 1869

Am 27. September 1868 geht Sofja eine Scheinehe mit dem späteren Paläontologen Wladimir Onufrijewitsch Kowalewski (1842-1883) ein, die es ihr ermöglicht, gemeinsam mit ihrer Schwester zum Studium ins Ausland zu gehen. Wladimir Kowalewski gehörte ebenfalls der nihilistischen Bewegung an, unter deren Anhängern es als "Ehrensache" galt, auf diese Weise zur "Befreiung der russischen Töchter" beizutragen, die in ihrer Heimat keine Möglichkeit für eine wissenschaftliche Ausbildung hatten, und - da sie als Frauen keinen eigenen Pass besaßen - ohne einen Ehemann oder den Vater nichts ins Ausland gehen konnten.

Im April 1869 verlassen Sofja, Wladimir und Anjuta Russland und fahren über Wien nach Heidelberg, wo Sofja als Gasthörerin Mathematik- und Physikvorlesungen hört. Anjuta verlässt Sofja und Wladimir und reist nach Paris, wo sie sich der dortigen Arbeiterbewegung anschließen will.

Im Herbst 1869 kommt auch Sofjas Freundin Julia Lermontowa nach Heidelberg und nimmt ebenfalls als Gasthörerin ein Chemiestudium.

Im Herbst 1969 lernt Sofja auf einer Reise nach London George Eliot kennen, die sie ihren Freunden als lebendige Widerlegung der These vorstellte, dass Frauen zu reiner Abstraktion nicht fähig seien, und es deshalb auch keinen weiblichen Mathematiker geben könne.

Karl Weierstraß nach 1880

Karl Weierstraß nach 1880

Barrikadenk¨mpfe während der Pariser Commune Foto 1871

Barrikadenkämpfe während der Pariser Commune, Foto 1871

Frauen während der Pariser Commune

Frauen in der Pariser Commune

Im Oktober 1870 geht Sofja nach Berlin, wo sie - da die Universität ihr die Zulassung auch als Gasthörerin verweigert - Privatunterricht bei dem berühmten Mathematiker Karl Weierstraß (1815-1897) erhält, der sie bis zum Sommer 1874 unterrichtet. Wladimir begleitet sie nach Berlin, Julia Lermontowa folgt ihr ein Jahr später.

Nachdem Sofja Anjuta schon einmal im Frühjahr 1870 in Paris besucht hatte, wo sie ihren künftigen Schwager, den Sozialisten und Revolutionär Victor Jaclard (1840-1903) kennengelernt hatte, schlagen sich Sofja und Wladimir im April 1871 mitten wärend des Aufstandes der Pariser Commune nach Paris durch, wo Anjtua und Victor auf den Barrikaden kämpfen und Sofja bei der Pflege Verwundeter hilft. Wladimir dagegen arbeitet unbeeindruckt von den Kämpfen um ihn herum, wissenschaftlich in den Pariser Museen und findet dort sein Disseratationsthema. Am 12. Mai 1871 noch vor der blutigen Niederschlagung des Aufstandes mit zehntausenden von Toten verlassen Sofja und Wladimir Paris wieder, kehren aber sofort zurück, nachdem sie erfahren haben, dass Victor gefangengenommen wurde. Am 10. Juni 1871 treffen sie wieder in Paris ein. Mit Hilfe von Sofjas Eltern, die ebenfalls nach Paris reisen, gelingt es Victor Anfang 1871 zu befreien. Anjuta und Victor emigrieren in die Schweiz und heiraten dort.

Fossil Anchiterium gefunden 1825 in Frankreich

Wladimir Kowalewski schrieb seine Doktorarbeit über die Entwicklungsgeschichte des Pferdes

Sofja Kowalewskaja Partielle Differentialgleichungen 1875

Sofja Kowalewskaja, Zur Theorie der partiellen Differentialgleichungen (veröffentlicht in: Journal für die reine und angewandte Mathematik 80, 1875, S. 1-32.)

Sofja Kowalewskaja Abelsche Integrale 1884

Sofja Kowalewskaja, Über die Reduction einer bestimmten Klasse abel'scher Integrale dritten Ranges auf elliptische Integrale (veröffentlicht in: Acta mathematica 4, 1884, S. 393-414).

Im Oktober 1871 kehrt Sofja nach Berlin zurück, wo Julia Lermontowa auf sie wartet. Wladimir reist wegen seiner wissenschaftlichen Arbeit zunächst wieder nach Paris. Ab Anfang Dezember 1871 studiert er in Jena, schreibt seine Dissertation über die Entwicklungsgeschichte des Pferdes und besteht dort am 11. März 1872 seine Doktorprüfung. Nach der Prüfung reist er durch die europäischen Museen.

Sofja arbeitet 1872 intensiv mit Weierstraß, unterbrochen nur durch einen Sommeraufenthalt in Palibino. Nach ihrer Rückkehr berichtet sie Weierstraß von dem fiktiven Charakter ihrer Ehe. Da Weierstraß nun weiß, dass sie keine gutversorgte Ehefrau ist, die nur nebenbei etwas Mathematik betreibt, führt er sie danach zielstebig zur Promotion.

1873 besucht Sofja zweimal ihre Schwester Anjuta in Zürich, die dort im Frühjahr einen Sohn zur Welt gebracht hatte. Wladimir hatte im Februar erfolglos versucht, sein russisches Magisterexamen abzulegen, und lebt unterbochen von verschiedenen Reisen in München. Anfang Dezember 1873 zieht er zu Sofja nach Berlin.

Ab April 1874 bemüht sich Weierstraß um die Zulassung von Sofja zur Promotion in Göttingen. Sie stellt auf seinen Rat und nach seinen Vorabsprachen mit den Göttinger Kollegen am 19. Juli 1874 einen Antrag auf Promotion "in absentia" (d.h. ohne mündliche Prüfung), der am 2 August bewilligt wird. Sofja hat drei verschiedene Arbeiten vorgelegt:
- "Zur Theorie der partiellen Differentialgleichungen" (veröffentlicht 1875),
- "Über die Reduction einer bestimmten Klasse abel'scher Integrale dritten Ranges auf elliptische Integrale" (veröffentlicht 1884) und
-
"Zusätze und Bemerkungen zu Lapace' Untersuchungen über die Gestalt der Saturnringe" (veröffentlicht 1885).
Aufgrund dieser Arbeiten wird ihr die Doktorwürde mit dem Prädikat "summa cum laude" verliehen.

 

Wird fortgesetzt

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